Kanu.Wandern.Lagerfeuer.


Outdoor-Wochenende in Thüringen im September 2023

Freitag Nachmittag, Rucksack gepackt, Blumen gegossen, ich sitze im Auto und tippe das Ziel ein: Lauterbach… Route wird berechnet… Waaas? Sechshundertsiebzig Kilometer ab Magdeburg?? Verschrieben, verlesen, falscher browser??? Puh, Glück gehabt: es gibt fünf Lauterbachs, meins ist das in Thüringen, schlappe zwei Stunden Fahrt, vergnügt starte ich den Motor. Fensterscheiben runter, LieblingsCD rein: yeah! Urwald-Life-Camp – ich komme!

Quer durch’s schöne Thüringen, kurvige Landstraße, geruhsames Auf und Ab. Links und rechts Wald und Wiesen, ein bisschen Acker, Windräder, plötzlich drei unerwartet steile Serpentinen, noch einen Gang runterschalten, und voilà – pünktlich zum Abendbrot biege ich auf den Parkplatz der Jugendherberge. Mitten im Nirgendwo, vierhundert Meter über NormalNull. Vom Urwald hatte ich bis jetzt ein anderes Bild, aber das hier ist auch schön. Wunderschön. Ich fühle mich sofort wohl. Alle Töne von Grün, erste gelb-rote Spitzen, blauer weiter Himmel, warme Abendsonne. Ich bin im Nationalpark Hainich, der größten zusammenhängenden Laubwaldfläche Deutschlands, ein Teil davon ist Weltnaturerbe. Wildkatzen und Mittel(!)spechte leben hier, 2015 wurde ein Luchs gesichtet, Kraniche nutzen den Hainich als Landmarke und ruhen sich aus an seinen Rändern im Herbst.

Noch ganz bedröppelt von so viel Natur nehme ich den Zimmerschlüssel vom freundlichen Rezeptionisten entgegen und laufe dreimal an meiner Tür vorbei – die Wandtexte zur Geschichte der Jugendherberge sind einfach zu interessant, dieser PRO7-Name wäre gar nicht nötig gewesen. Dann fix das Bett bezogen, wer weiß, ob später dazu noch Gelegenheit ist, und schon tauche ich ein in die KST-Gemeinschaft, my stamily-family. Wir begrüßen einander herzlich und freuen uns auf eine gute gemeinsame Zeit. Abendessen draußen auf Bierzeltgarnituren, ein Bier zwei Bier, auch alkoholfrei, dann Witzeerzählen, Spiele, SYSTEMspiele – ich verstehe nichts. Ich mache einfach mit, lache Tränen und fühle mich prächtig, genau richtig. Die Party auf Zimmer 10 vertagen wir ganz vernünftig auf morgen (Lagerfeuer!), die Hausordnung ist da eindeutig: “Ruhe ab zehn!”. Die Musikrolle wird vorausschauend in die Powerbank gestöpselt.

Gut geschlafen, beim Frühstück trotzdem drei Kaffee, er schmeckt so gut. Gespräche über Otto Waalkes, die EU und über uns, keiner meckert über die Deutsche Bahn und das Wetter ist herrlich. Tisch abwischen, wir treffen uns am Bolzplatz. Spiele zum Wachwerden, zum Aaahhhtmen, zum Dehnen, zum Team-en: wir sitzen im Kreis auf dem Hintern auf dem Schotterboden, mit dem Rücken zueinander, haken uns unter und sollen auf Kommando aufstehen. Wir tun unser Bestes, ächzen und stemmen, doch nichts passiert, wir kleben am Boden, jedeR geht insgeheim seine Ess-Sünden durch. Ich schummle ein bisschen und nehme eine Hand zu Hilfe, der Spielleiter sieht gnädig darüber hinweg – wir stehen schöner als jede Fußball-Elf! Nächstes Spiel: Elefant und Antilopen, wie Fangen, nur modern. Viele Regeln – alles klar? Wir nicken nachdenklich. Eine Hand geht hoch: In perfektem Weich&Gebunden, slowenisch gefärbt: “Ich habe das alles nicht verstanden und überhaupt: gibt es auch Elefantinnen?” Der Blick des Spielleiters geht in die Ferne und lächelnd beginnt er von vorn. Zum Glück für uns alle.

Wir werden abgeholt vom ortskundigen Fuhrunternehmen. Auf dem kurzen Weg nach Creuzburg, dem Ausgangspunkt unserer Bootstour auf der Werra, erfahren wir Interna über die DDR-Wartburg-Produktion im nahen Eisenach. So authentisch erzählt, dass ich sofort wieder Kind bin. Ich sitze auf dem Rücksitz unseres fabrikneuen Familien-Wartburg 353 S Limousine, samtocker, abnehmbarer Nebelscheinwerfer, lang erwartet und bar bezahlt (der Geldschein-Stapel in der Wohnzimmerschrankwand war exakt elf Zentimeter hoch, nachgemessen mit meinem Schullineal), und ich sitze natürlich nicht direkt auf der Rückbank dieses Autowunders, sondern nur auf der Plastikschutzfolie, und ich puhle ein Loch hinein (was mir großen Ärger einbringt).

Zurück ins Hier und Jetzt, wir sind beim Bootsvermieter angekommen und stehen vorm Schlauchboot: wie tariert man das aus mit elf BesatzungsmitgliederInnen? Wir schaffen das, sogar ohne Käpt’n: fünf auf der linken Bordwand, fünf auf der rechten, der Steuermann sitzt hinten. Es ist eng, aber gemütlich, die sechs Stechpaddel kreisen alternierend in bestem Einvernehmen. Die Sonne brennt, das Lunchpaket schmeckt, die Werra ist ein freundlicher, ruhiger, ziemlich brauner Fluss. Immer wieder zeigt sich ein Eisvogel (wahrscheinlich derselbe), ein paar desinteressierte Enten, prächtige Wildgänse, weiße Schwäne mit und ohne Nachwuchs, ein Haubentaucher. Unser Steuermann lotst uns sicher durch die Strömung. Erschöpft aber hochzufrieden mit unserer Paddelkunst erreichen wir Mihla. Im Grauen Schloss rücken wir die Tische zusammen. Schwedeneisbecher und Apfeltorte mit dreimal Sahne und ja, gerne auch das regionale Bier, aber kalt, eiskalt bitte. Dreißig Grad im Schatten, uns geht’s gut. Gespräche zu zweit, Persönliches, ganz ohne Sprechtechnik, so gut es eben geht, wir verstehen uns. Weinen und Lachen. Lachen geht auch. Muss! Und Tanzen. Tanzen hilft, tanzen ist gut. Aber soweit sind wir noch nicht. Erstmal müssen wir zurück. Wir wandern tapfer vor uns hinschwitzend bergauf bergab durch den Ur-Wald zurück zur Herberge, elf lange Kilometer, ein paar davon durch die Wolfsschlucht. Die Stimmung ist ausbaufähig, die erste Blase wird noch mit einem Pflaster versorgt, ein Kinderpflaster, ein Prinzesschen ist drauf.

Jetzt kommt mein highlight an diesem Wochenende: nach dem Abendessen hat ein umsichtiger workshop-Leiter das Holz an der Feuerstelle aufgeschichtet, den Teig für das Stockbrot organisiert, den Sternenhimmel wolkenfrei gehalten. Wir entzünden das Feuer und schauen hinein – es geht gar nicht anders. Ein kleines smartphone erfüllt Musikwünsche, geduldig einen nach dem anderen, die präparierte 1000-Watt-Bluetooth-Box sagt keinen Piep. Ich will nirgendwo anders sein.

Doch so ganz stimmt das nicht. Buntes Licht wird entdeckt, im Nachbarhaus, versteckt hinter einem Hügel: eine Konkurrenz-Party! Eine andere Gruppe feiert dort, etwas größer, etwas lauter, etwas bunter als wir, und das Beste: sie lädt uns ein! Ganz unkompliziert! Sofort nehmen wir an und tauchen für ein paar Momente ein in … alles das, was Musik für uns bedeutet.

Wenn es am schönsten ist, soll man gehen und so verlassen wir das bunt-laut-fröhliche Tanzgeschehen und begeben uns drei Schritte weiter direkt in’s Gegenteil: Sternegucken, auf dem Rücken liegend im taufeuchten Gras. Ich weiß nicht, ob es die Maus war oder der kleine Wagen, aber die Kassiopeia habe ich erkannt. Und den Polarstern. Und mindestens eine Sternschnuppe. JedeR von uns eine, den Wunsch dazu hat keineR verraten.

Sonntagsfrühstück im schönsten Sonnenschein, dann Programmplanung, dritter Teil vom Outdoor-Wochenende. Gepaddelt sind wir schon, gewandert auch, jetzt fehlt noch Klettern. Ruckzuck sind die Zimmer geräumt, das Auto gepackt, das Handtuch um den Kopf wegen dem schnell noch gewaschenen Haar. Schon setzt sich die Karawane in Bewegung. Ziel: Kammerforster Kletterpark, 20 Minuten entfernt. Die gesetzte Markierung bei Google Maps führt uns geradewegs auf einen Wanderpfad. Der Autokorso wendet, zerbröselt, viele Wege führen nach Rom. Mit großem Hallo finden wir uns wieder und beiläufig zupfen mitgenommenes Gras&Zweige&Baumschößlinge von den Autoschwellern – Urwald!

Vom Kletterparkpersonal routiniert eingekleidet werden wir mit knapper Ansage verschickt: „In zehn Minuten Einweisung bei den Eichhörnchen!“. Aye aye Sir! Niemand wagt zu lachen. Die Eichhörnchen erweisen sich als niedlicher KleinKindkletterpfad mit Schaukel, hier ist der Luchs die schwarze Piste. Ich schaue mir diesen respektablen Kletterpfad mit einem Kaffee in der Hand von unten an und schlendere zum Rastplatz zurück. Nicht lange, und wir sitzen alle wieder unten und genießen den Moment. Ein zünftiges Abschiedsessen im Hainich Haus bei Familie Rettelbusch, ein großes Dankeschön an die OrganisatorInnen, ein allerletztes Foto und mein Auto schnurrt mich wieder nach Hause. Schade, ich wäre gern geblieben.

von Steffi

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